Werke

FORM / STRUKTUR

Andreas Kohlstetters Arbeiten sind bei rein formaler Betrachtung, künstlerisch-dichotomische
Auseinandersetzungen mit Phänomenen der Geometrie. Gegensatzpaare prägen seine Werke,
die sich auffällig oft im Rahmen bewegen, diesen jedoch oftmals überwinden, sogar sprengen,
zumindest infrage stellen.
Symmetrien, Asymmetrien, Rechtecke, Ovale, Kreise, Quadrate, Dreiecke und Kreuzstrukturen
kontrastieren mit freien, amorphen, organischen Formen. Präzise Linien, Striche, Kreissegmente
spielen mit großflächigen, z.T. monochromen, z.T. mehrfarbig kolorierten Hintergründen, gliedern,
segmentieren und zerstückeln sie in mehrere Einzelobjekte und werden dennoch im Rahmen
gehalten.

Es bleibt dabei nicht bei der 2-dimensionalen Darstellung, obwohl gerade im Bereich der
Oberflächenbehandlung große Sorgfalt gezeigt wird, sondern auch hier ist Bewegung spürbar:
Die Oberflächen wölben sich, falten sich auf, sprengen auch hier den Rahmen der malerisch-
determinierten Korsettierung und brechen auf. Die Arbeiten sind androgyne Mischungen
aus Malerei und Skulptur: Sie hängen an den Wänden, wagen sich aber dennoch „ins Freie“
bildhauerischer Raumaneignung und betonen auch damit ihren dichotomischen Ansatz.

MATERIALITÄT

Kohlstetters andere Profession als raumausstattender Handwerker ist bei der Materialwahl nicht
zu übersehen.
Rechteckige Einfassungen aus groben Holzelementen, teilweise als vorgefundene Fertigobjekte,
suggerieren Halt und Ordnung, Überschaubarkeit und rationale Klarheit.
Diesem „warmen“ Material werden Metallobjekte, Werkzeugteile gegenübergestellt, die in ihrer
„Kühle“ und Bedrohlichkeit erneut einen komplementären Gegenpol bilden:
Objekte derAlltagswelt treffen auf Objekte künstlerisch bearbeiteter Verfremdung. Harkenköpfe,
Spannschlösser, Drahtseile, Paketschnüre und Kauschen, Gartenschläuche, gefüllt mit erhitztem,
choloriertem Wachs bilden einen vielfältigen Formen- und Materialkosmos, der jedoch nicht
willkürlich entsteht, sondern einem strengen, inhaltlich-kompostorischen Duktus folgt.

FARBE

Auffällig ist auch hier wieder die antithetische Interpretation dieser Wahrnehmungsebene:
Feinsinnig gestaltete Kolorierung trifft auf rau-rohe, archaische Dinglichkeit, oft unter Belassung
der Verwitterungsspuren dieser „Fundstücke“: Farbe als künstlerischer Gestaltungsakt trifft auf
die Funktionalität, die Farbe im Zusammenhang mit dem farbigen Objekt der Alltagswelt
zu leisten hat bzw. zeugt von der Vergänglichkeit dieser Ebene.

INHALTE / THEMEN

Die Vielschichtigkeit, Komplementarität und dichotomische Komplexität durchzieht das ganz
Werk. Es ist der Versuch, historische und gegenwärtige Themen menschlicher Daseins-
strategien, aber auch Bedingtheiten aufzuzeigen, worauf Hoffnung und Scheitern dieser
Strategien gründen.

Die häufige Verwendung der Kreuzes-Symbolik verweist auf die religiöse Dimension einer
Daseinsstrategie, die wohl unabänderlich und evergreen lohnt, Gegenstand künstlerischer
Auseinandersetzung zu sein. Es geht jedoch nicht um Religion an sich, sondern um Geistes-und
Machtstrukturen.

Manche Arbeiten Kohlstetters sind geprägt von so unerträglich-assoziativer Gewalt, dass die
Rezeption Unbehagen verursacht, Unbehagen, welches jedoch nicht auf die Läuterung des
Betrachters abzielt, der nun die „Gottesferne der Welt erkennt und umkehrt“, sondern,
antithetisch, den Rahmen erkennt, der diese „Kreuzigung“ erst ermöglicht.

Marterungen, nicht nur religiöser Herkunft, einschneidende Stahlseile, klaffende „Wunden“ sind
Assoziationen, die bei der Betrachtung der Arbeiten nicht zu weit hergeholt erscheinen und durch
Form, Materialwahl und Farbe verstärkt werden. Themen der Antithetik, der Dipolarität, die die
menschliche Wahrnehmung prägen, sind Gegenstand der Welt von Andreas Kohlstetter. Die
rationale Funktionalität seiner Rahmen trifft auf das weiche Verletzlichzarte innerer Gestaltung
und verweist auf den ewigen Konflikt zwischen vernunftmaschinellem Kalkül und
seelenkünstlerisch-geprägter Individualitätsentfaltung.

Angenehm bleibt dabei seine Zurückhaltung, Lösungsangebote betreffend. Kohlstetter stellt dar
und erschüttert.

Kann und soll Kunst mehr? Stuttgart, 06.08.2015 Mathias Meyn
 

Collage "Hotizont III"

“Hotizont III”

Horizont II

Horizont II